Werr spricht! Mit Patrick Sellier über Familienunternehmen.
In dieser Folge von „Werr spricht“ spricht Anna mit Patrick Sellier, Gründer der Tauglerei, Coach, Aryuveda-Therapeut, Berater, Business-Angel, Accelerator, Coworking-Host und Dorfwirt und Koordinator der Akademie für Potenzialentfaltung in Österreich. In dieser Folge teilt Patrick sehr persönliche und spannende Einblicke in seine Reise durch Familienunternehmen, die Herausforderungen des Loslassens und was man daraus lernen kann.
Der Podcast in Worten – das Transkript für alle Leser:
Interview mit Patrick Sellier
Anna: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Werr spricht“. Heute möchte ich euch meinen ersten Gast vorstellen, Patrick Sellier. Er betreibt mit der Tauglerei ein Haus für persönliche, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung in den Bergen bei Salzburg. Er unterstützt und finanziert mit Czernin-Godulla-Sellier nachhaltige Startups und arbeitet als Coach, Ayurveda-Therapeut, Berater, Business Angel, Accelerator, Coworking-Host und Dorfwirt. Für die Gesamtkoordination Österreich bei der Akademie für Potenzialentfaltung; und für Gerald Hüther ist er auch zuständig. Ich hoffe, Patrick, ich habe jetzt nichts vergessen.
Patrick: Das Allerwichtigste ist eigentlich, dass ich auch wahnsinnig viel und gerne Kuchen backe.
Anna: Stimmt. Und auch noch sehr gut. Schön, dass du da bist und dass wir heute über das Thema Familienunternehmen sprechen.
Patrick: Das freut mich auch ganz besonders. Ich glaube, da habe ich auch einiges zu sagen, weil ich bin eigentlich das wandelnde Familienunternehmen.
Anna: Okay, möchtest du da mal ein bisschen darauf eingehen? Ich weiß, du kommst aus zwei Familienunternehmen und hast selber eines.
Patrick: Ich bin aufgewachsen als Kind von einem Verleger. Mein Vater war Verleger und meine Mutter kommt aus einer Düsseldorfer Familie, die ein großes Chemieunternehmen hat. Ich bin quasi in einem Verlag aufgewachsen, wie man das dann tut als kleines Kind und bin selber auch obwohl ich nie dazu gezwungen worden bin und blablabla … wie das dann so in Familien ist, bin ich tatsächlich irgendwann Verleger dieses Verlages geworden, was ich, obwohl ich dann nochmal selber ein Familienunternehmen mit meiner Frau auch noch im Verlagswesen gestartet habe, nach zwölf, dreizehn Jahren ungefähr an den Nagel gehängt habe. Dann natürlich, was kann ich anders tun? Ich habe jetzt ein eigenes Familienunternehmen, starte die Tauglerei in St. Koloman und lustigerweise hat gestern meine Tochter, die jetzt elf Jahre ist, zu mir gesagt, was sie alles für Pläne hat mit der Tauglerei. Und das war – da habe ich mich echt erschreckt.
Also deswegen super, dass wir heute sprechen, weil ich gerade ein bisschen angefixt worden bin zu dem Thema.
Anna: Sehr gut. Wenn du sagst, dass es dich erschreckt hat, warum?
Patrick: Weil wir, wenn ich ehrlich bin, meine Frau und ich die Tauglerei gar nicht so als Familienunternehmen gestartet haben oder in diesem Bewusstsein, das ist vielleicht etwas, was wir an eine nächste Generation weitergeben könnten.
Wir arbeiten im Moment fast immer, das bringt unsere Arbeit mit. Und diese Perspektive, dass das Ganze für eine nächste Generation interessant sein könnte, weiter zu betreiben, habe ich ehrlicherweise noch nicht gehabt. Und das Lustige ist, dass unsere Tochter jetzt anfängt, die ist eigentlich ganz schüchtern und jetzt findet sie es total super in dem Café, was wir auch haben oder in dem Wirtshaus, mit zu bedienen. Man merkt, das tut ihr total gut. Anscheinend hat sie darüber nachgedacht, was man hier alles noch machen kann. Ich finde es spannend. Anscheinend haben wir ein Familienunternehmen gegründet, das interessant für die nächste Generation ist.
Anna: Verändert das deine Art, wie du über die Tauglerei denkst und wie du über die Zukunft von der Tauglerei nachdenkst?
Patrick: Ehrlicherweise nein. Die Tauglerei ist ohnehin permanent in Veränderung. Ich habe das mal „Fluid Space“ genannt, da konnte sich keiner etwas vorstellen, deswegen sage ich das jetzt nicht mehr. Aber ich versuche es jetzt nochmal den Begriff auf diesem Wege in den Raum zu stellen. Und diese permanente Veränderung ist an sich das, was die Tauglerei ausmacht. Dann wäre es nur natürlich, wenn es jemand anderes dann irgendwann weiter verändert.
Anna: Ja, das ergibt Sinn.
Patrick: Oder das klingt vielleicht komisch. Ich hätte überhaupt kein Problem, wenn es die Tauglerei nicht mehr gäbe.
Anna: Ja, weil dann entsteht wieder etwas Neues.
Patrick: Es würde dann etwas Neues entstehen.
Anna: Du hast gesagt, dass du den Verlag übernommen hast und danach nochmal mit der Sara einen eigenen Verlag gegründet hast. Was hat dich dann hierher verschlagen, ins Salzburger Hinter-Oberland?
Patrick: Ins Hinter-Oberland?
Anna: Am Berg.
Patrick: Ja gut, wir sind ja wirklich hier am Berg. Vielleicht ist es, dass wir nach St. Koloman gekommen sind eher Zufall. Das hat sich ergeben eine gewisse Zeit nachdem wir aufgehört haben die Verlage zu betreiben. Dann gab es eine Einladung nach St. Koloman zu kommen und in einem Hotel Ayurveda aufzubauen. Ayurveda und Yoga. Das war damals unser Hauptinteressensgebiet. Wir haben uns einfach sehr wohl in diesem Dorf gefühlt und hatten die Chance, das alte Wirtshaus hier zu übernehmen, um etwas Neues daraus zu machen.
Anna: Cool. Und was hat dazu geführt, dass es die Verlage nicht mehr gibt? Oder dass ihr euch für etwas Neues entschieden habt?
Patrick: Die Verlage gibt es noch. Sie wurden damals verkauft. Ich bin damals aus dem Unternehmen ausgeschieden.
Warum bin ich überhaupt Verleger geworden? Das ist vielleicht die erste Frage. Es gibt so komische Dynamiken, weil Familienunternehmen sind nun mal nicht von der Familie zu trennen. Es gab da eine sehr erstaunliche, für mein Leben damals sehr einschneidende, Dynamik, dass der Bruder meines Vaters, der eigentlich hätte Verleger werden sollen, im Krieg gefallen ist. Er war so eine Art Wunderwuzzi. So wurde er mir immer, als ich Kind war, verkauft. Es standen immer Bilder von ihm rum. Er war ein genialer Verleger eigentlich, ist aber in Russland gefallen. Mein Vater, der damals vier Jahre alt war, kriegte dann gesagt, er muss halt jetzt Verleger werden.
Seine anderen Brüder waren alle Ärzte und kamen dann nicht mehr in Frage. Mein Vater hat das nie in Frage gestellt, ist einfach Verleger geworden. Hätte der aber nicht müssen oder nicht werden sollen. Er war eigentlich nicht talentiert dafür. Ich fand immer diesen Onkel so spannend. In gewisser Weise habe ich ganz viele Qualitäten ausgelebt, die der hätte eigentlich leben müssen. Für den quasi. Ich war ein sehr erfolgreicher Verleger und habe aber gemerkt, dass ich da immer so irgendwie, das habe ich nicht für mich gemacht. Und das war ein ziemlich schwerer Prozess, sich einzugestehen, dass man da das Leben eines anderen lebt. Vor allem, weil es so erfolgreich war.
Das verstand auch keiner. Warum hört der jetzt auf, Verleger zu sein, nachdem alles, was er anfasst, irgendwie erfolgreich ist? Ich habe mich aber dann trotzdem so entschieden, und hatte das große Glück, eine tolle Frau zu heiraten, die das auch erkannt hat. Und sie hat diesen Patrick, der eigentlich da war, sehr viel mehr geliebt als den Verleger. Sie war eine extrem erfolgreiche Buchgestalterin. Und es ist toll, dass wir diesen Schritt zusammengegangen sind. Für andere Teile meiner Familie war das überhaupt nicht toll. Mein Vater hat direkt angefangen, mich bis aufs Blut zu bekämpfen, zum Beispiel.
Anna: Nachdem du ausgestiegen bist, oder?
Patrick: Ja, genau. Vorher war ich so der gefeierte Held, weil Verleger. Danach war ich nicht mehr existent. Oder meine Existenz sollte eigentlich vernichtet werden. So hart wie das ist.
Umso mehr habe ich mich dem Thema Identität auch zugewandt. Wenn ich nicht dieser Verleger bin und mein Vater mich überhaupt nicht wahrnimmt, wer bin ich eigentlich? Man kommt dann in so eine richtige Existenzkrise. Und da habe ich mich dann ausgearbeitet.
Und inzwischen, glaube ich, lebe ich meine Existenz ganz gut. Oder meine Identität.
Anna: Das glaube ich auch. Gab es einen Auslöser dafür, wo du gemerkt hast, an einem gewissen Punkt, das ist nicht mein Leben? Gab es irgendwas, was besser war?
Patrick: Ja, das kann ich ganz klar festmachen sogar. Ich hatte mich zwar schon mit Ayurveda beschäftigt und merkte, das ist etwas, was mich sehr, sehr fesselt, was mich wirklich im Innersten berührt. Aber der große Auslöser war an sich die Geburt meines Sohnes. Das war nicht einfach. Und als er auf meinem Arm war, habe ich mir den angekuckt und gedacht, wenn der jetzt den ganzen Scheiß auch mitmachen muss und auch in dieser Familie weiterlebt und das weiterträgt, das möchte ich dem nicht antun. Und das Einzige, was ich tun kann ist, dass ich es anders mache. – Anders als mein Vater zum Beispiel, der es hätte tun sollen. Und ich kann es wirklich an diesem Moment festmachen, dass es da kein Zurück mehr gab. Auch wenn es dann vielleicht noch, so lange hat es gar nicht gedauert, eineinhalb Jahre gedauert hat.
Anna: Du kennst meine Geschichte und ich finde es einfach auch spannend zu sehen jetzt, weil ich selbst bin ja ins Unternehmen eingestiegen, weil ich gefühlt musste, auch wenn ich es offiziell natürlich nicht musste. Und habe relativ viel auch daran gearbeitet, wer bin ich und was will ich. Ich finde es echt faszinierend zu sehen, was so ein Familienunternehmen und in was für ein Gefängnis man eigentlich – ein mentales – reinkommt. Diese ganzen Erwartungen, die Überzeugungen, dieses ganze Bild, das da entsteht. Und im Endeffekt war es bei dir ja auch so, dass es diesen Impuls von außen durch deinen Sohn gebraucht hat, dir das bewusst zu machen. Und ich finde es wirklich spannend zu sehen, wie stark dieses Konstrukt, dieses Mentale ist, in dem man da drinhängt.
Patrick: Ja, da hängt man drin. Ich glaube, das muss man sich als Familie auch bewusst machen. Ich habe jetzt zum Beispiel, das andere Beispiel. Ich bin auch in einem anderen Familienunternehmen groß geworden, wo ganz, ganz klar Familie und Unternehmen getrennt ist. Also extrem klar. Das Unternehmen soll immer, also wird ganz, wie soll ich das ausdrücken, also ist kein Familienmitglied, wenn es nicht herausragend schlau ist, Teil des Unternehmens. Jetzt bin ich natürlich eigentlich herausragend schlau und ich bin trotzdem nicht Teil des Unternehmens. Nein. Es ist eine bewusste Entscheidung, dass die Familie nicht im Unternehmen tätig ist, sondern immer andere Leute für die Familie im Unternehmen tätig sind, weil es diesem Unternehmen nicht guttäte. Das ist eine klare Entscheidung der Familie. Und da wird nicht dran gerüttelt.
Lustigerweise versuchen es dann immer welche dran zu rütteln, aber es ist ganz klar festgelegt, es gibt die Familie und es gibt das Unternehmen. Das finde ich eine sehr gute Vorgehensweise. Dann entstehen da keine Verbindungen, die vielleicht dem Unternehmen schaden oder der Familie.
Anna: Ja, dafür braucht es aber sehr viel Reflexion, auch schon von der Führungskraft oder vom Gründer her aus, dass man sich das so überlegt und auch diesen persönlichen Abstand zum eigenen Unternehmen schon mal herstellt, weil wenn man sein eigenes Unternehmen hat, ist man ja oft komplett drin. Und viele identifizieren sich ja auch mit dem Unternehmen, denen ganze Identität ist ja dieses Unternehmen oder Unternehmerin- oder Unternehmer-Sein. Und das merkt man dann schon, dass deine Vorfahren in dem Fall wahrscheinlich schon sehr reflektiert waren, um so damit umzugehen.
Patrick: Ja, lustigerweise war das immer eine spannende Mischung von Personen, die da tätig waren in diesem Unternehmen. Also diese Trennung von Familie und Unternehmen geht auf meinen Großvater zurück, der quasi dieses Unternehmen geleitet hat, aber glaube ich, erkannt hat, dass der Geschäftsführer, den er mit dabei hatte, das einfach viel besser kann. Und je weniger er im Unternehmen war, desto erfolgreicher war das Unternehmen.
Und er hat sich dann eingestanden, dass das Beste ist, was er tun kann, er hatte allerdings auch einen Herzinfarkt relativ jung, einfach da kaum noch aufzutauchen. Und je konsequenter er das gemacht hat, desto erfolgreicher wurde dieses Unternehmen. Wirklich spannend. Und hat diese Trennung in die Wege geleitet. Das muss man eben hoch anrechnen. Das hat ihm eigentlich auch ermöglicht ein paar Mal deutscher Meister im Golf zu werden, weil er einfach viel Zeit hatte. Aber die Entscheidung war sehr, sehr weise von ihm.
Anna: Das ist sicherlich was, wo sich das ein oder andere Familienunternehmen eine Scheibe abschneiden kann.
Patrick: Ich glaube das Wichtigste ist, die Realität zu erkennen, was Familientraditionen halt oft nicht tun.
Anna: Das stimmt. Um nochmal auf das, was du vorher gesagt hast, zurückzukommen. Wie bist du damit umgegangen, dass dein Vater eigentlich gesagt hat, du existierst nicht mehr? Und hast du vorher damit gerechnet, dass das passieren kann?
Patrick: Ich habe, als ich diesen Schuss gefasst habe, ganz schlimme Dinge befürchtet. Dass es so schlimm wird, habe ich nicht befürchtet. Und ich weiß noch wie ich mit meiner Schwester, die jetzt nicht tätig war in dem Unternehmen, aber eben beteiligt, gesprochen habe, dass wir das möglichst schnell auf eine bestimmte Art und Weise über die Bühne bringen müssen, weil sonst der große Krieg beginnt. Das hat sie mir nicht glauben können. Und sie hat sich dann entschlossen, einen anderen Prozess einzuschlagen, der dann in das totale Chaos geführt hat. Das hat sie sich aber auch nicht denken können. Sie hat sich nicht vorstellen können, dass das so passiert.
Anna: Was hast du aus der Erfahrung mitgenommen, was du jetzt anders machst im Familienunternehmen?
Patrick: Was ich jetzt anders mache? Ich glaube, dass ich wirklich ehrlich bin in der Ansicht, dass nach mir das keiner machen muss. Ich bin sogar so weit, dass ich das selber auch nicht immer machen muss. Ich könnte damit sofort aufhören. Das klingt vielleicht ganz komisch, weil es so aussieht, als könnte ich es nicht. Und ich glaube, dass das das Wichtigste ist, was man tun kann. Ich bin nicht das Unternehmen. Und ganz viele Familien sind halt das Unternehmen. Es gibt Freiheit, wenn man nicht das Unternehmen ist.
Anna: Ja, das ist immer wieder. Das ist auch etwas, was ich lernen musste, dass ich nicht das Unternehmen bin. Das ist sicherlich oft ein großes Problem im Familienunternehmen, gerade wenn dann nach der Übernahme oder im Übernahmeprozess die ältere Generation schon nicht loslassen kann, weil ja dann nichts mehr bleibt, wenn sie aus dem Familienunternehmen aussteigen.
Patrick: Ja, wenn man so schwer identifiziert ist, dann ist das halt existenzgefährdend, wenn man nicht morgens in die Arbeit fährt und durch die Flure geht und Guten Morgen sagt und mal den einen oder anderen entlässt, auch wenn es die nächste Generation nicht möchte oder sowas.
Anna: Stimmt. Was hat dir neben Sara am meisten geholfen das Ganze durchzustehen?
Patrick: Ich glaube, der schwerste Punkt war tatsächlich, das habe ich gar nicht erwartet, als mein Vater gestorben ist, weil er auch noch im Testament und in allem, was er getan hat, noch ganz furchtbar nachgetreten hat. Er hat sogar selber einen Nachruf für sich formuliert, der dann in Fachpressen erschienen ist. Wo all das, was ich für dieses Unternehmen getan habe, angeblich von ihm getan worden ist. Ich habe da zwar herzlich gelacht, wenn man das so macht, aber an sich war das unfassbar verletzend. In der Zeit, muss ich sagen, hat mir außer meiner Frau und meiner Familie, auch meiner Schwester, ganz stark hat mir damals ein Arzt geholfen. Mir ging es richtig schlecht, körperlich auch schlecht. Dieser Arzt hat mir fantastisch geholfen. Ich habe ganz viel gelernt für meine weitere Arbeit, die ich auch hier in der Tauglerei betreibe in der Zeit. Aber ohne den, weiß ich nicht, ob es mir noch so gut gehen würde jetzt.
Anna: Auch meiner Erfahrung nach, so ganz ohne Hilfe von außen, kommt man alleine schwer durch.
Patrick: Ja, vielleicht hat das auch mit Familienunternehmen zu tun. Es gibt ja diese Familie und es gibt das Außen. Und man schottet sich so als Familie gerne gegen das Außen ab. Da lässt man keinen anderen rein in die Familie. Und am besten hat man auch keine Hilfe von außen. Ja, das muss man lernen. Natürlich soll man Hilfe von außen annehmen. Dafür gibt es gute Leute. Es gibt Freunde, es gibt Familie. Man muss nicht alles alleine durchstehen. Das ist sicherlich etwas, was ich zum Beispiel auch in der Zeit gelernt habe.
Anna: Das ist etwas, was ich lernen musste, dass man nicht alles alleine durchstehen muss. Man wächst ja auch, man lernt ja so, dass man das Image nach außen bewahren muss. Dass man filtert, was man sagt. Dass man nicht zeigt, wie es einem geht. Dass man keine Schwäche zeigt. Man ist ja immer, man repräsentiert ja immer die Firma. Und das ist wirklich, wirklich wichtig, dass es okay ist, sich Hilfe zu holen.
Und dass es auch niemand alleine ist. Es gibt so viele Menschen, die das erlebt haben. Was würdest du jemandem empfehlen oder raten, der in der gleichen Situation ist jetzt?
Patrick: In welcher Situation?
Anna: Dass er oder sie merkt, dass sie sich für das Familienunternehmen entschieden haben, aber das doch nicht das Richtige war. Und wie sie da, was sie tun können in der Situation, wenn sie merken, sie wollen aussteigen, das Unternehmen verkaufen und noch in diesem emotionalen Prozess hängen. Von – darf ich das überhaupt bis – wie mache ich das?
Patrick: Ich würde, bevor ich Entscheidungen treffe, würde ich wirklich mir gute, gute Unterstützung holen. Ein Prozess, also wer bin ich eigentlich? Mal ganz unabhängig von Unternehmen und von Familie. Ich glaube zum Beispiel inzwischen, wenn ich so einen Prozess gemacht hätte, wäre ich vielleicht gar nicht ausgestiegen aus dem Unternehmen. Weil ich das, was ich kann, habe ich da an sich auch gut gelebt oder hätte es auch noch anders leben können. Es ist nicht immer nötig auszusteigen. Das bin ich natürlich auch ganz zufrieden. Ich glaube, wichtig ist es in sich, diesen Fixpunkt und gleichzeitig Kompass zu finden, der einem zeigt, ist das mein Weg auch? Und diesen Punkt im Innersten zu finden, ist glaube ich das Wichtigste, was man im Leben tun kann. Bevor ich solche schwerwiegenden Entscheidungen, die halt nicht nur für einen selber, sondern eben auch für ein Unternehmen und für die Familie auch sind, würde ich mir den
Anna: Begleitest du heute Menschen dabei?
Patrick: Ja lustigerweise begleite ich gar nicht so sehr die Menschen, die aussteigen, sondern eher die Generation davor. Also eher meinen Vater in dem Bereich. Eher die, damit bin ich auch inzwischen ein bisschen älter, vielleicht kann ich mich da auch besser reinversetzen. Aber es ist eher die Generation, mit der ich spreche, die eben auch merken, es stimmt nicht und meistens Probleme haben, da offen drüber zu sprechen, die eben noch viel mehr drin sind in dem, was du eben beschrieben hast. In diesem Korsett, in dem man sich befindet, dass man, dass eben Familie und Unternehmen irgendwie so gleich konservativ weiterleben müssen.
Anna: Sehr spannend und sehr, sehr wichtige Arbeit. Du bist ja mittlerweile Koordinator für Österreich für die Akademie für Potenzialentfaltung von Gerald Hüther. Wie sehr spielt das in deine Arbeit rein und wie sehr kannst du die These der Potenzialentfaltung oder die Idee mit deiner Erfahrung als Familienunternehmer verbinden?
Patrick: An sich gibt es da einen Kern bei der Potenzialentfaltung, der gerade auch für Familienunternehmen wahrscheinlich extrem spannend sind. Und zwar, wenn ich das unbedingte Interesse an der Entfaltung des Anderen habe und so Menschen begegne, auch vor allem der eigenen Familie, dann kann man sehr viel von diesem Korsett, das besteht, zur Seite räumen.
Dann ist es sicherlich für Familienunternehmen, die in sich meistens viel mehr Potenzial haben als Konzerne, viel mehr möglich, auch in Zukunft. Dieses unbedingte Interesse an der Entfaltung des Anderen ist etwas, was mich zum Beispiel jeden Tag antreibt, hier auch in der Tauglerei gegenüber Kunden, Mitarbeitern. Ich glaube, dass das so der Kern ist, über den man sich mehr Gedanken machen sollte.
Anna: Die Vorstellung ist irgendwie total schön, dass, wenn man Unternehmen anders führt, dass man diesen Gedanken, dass wirklich das Potenzial der Menschen entfaltet werden soll, ist, egal ob Familienunternehmen oder nicht, ein sehr, sehr schöner Gedanke und eine sehr schöne Vorstellung, wie Unternehmen und unsere Gesellschaft dann sein könnte. Das ist eine sehr wichtige Arbeit. Ich hoffe, dass sich das noch mehr verbreitet. Hast du bereits Unternehmerinnen oder Unternehmer, die sich dafür interessieren? Merkst du, dass der Raum dafür geöffnet wird und die Anfragen da sind, dass sich schon eine Veränderung entsteht?
Patrick: Nach Potenzialentfaltung?
Anna: Nach einer anderen Art, Unternehmen zu führen, nach Potenzialentfaltung, nach die eigene Identität zu kennen, zu leben und somit ja auch ein authentischeres Unternehmen zu führen.
Patrick: Ich glaube, dass das Interesse schon immer da war. Gerade auch bei Familienunternehmen. Wenn man zu diesem klassischen Unternehmer spricht, dann begegnet er seinem Unternehmen und seinen Mitarbeitern tatsächlich mit so einer Einstellung der Liebe. So komisch, wie das vielleicht klingt. Der möchte versorgen, sich kümmern. Ich mache ja auch sehr intensive Prozesse mit Unternehmern. Ich würde sagen, 99 % von den Leuten haben so ein Bild von sich, dass sie für die anderen kochen oder grillen oder sowas in der Form. Das äußert sich nur manchmal anders, weil man natürlich auch diese Zuwendung zum anderen ganz anders gelernt hat.
Ich glaube, was es braucht, ist diese Ehrlichkeit, dass man es wirklich nett miteinander meint. Dass man das auch ausdrücken lernt. Es ist oft eine Form von Unprofessionalität, wenn ich mit dem anderen nett bin. Ich glaube, diese Einstellung muss sich ändern.
Anna: Definitiv.
Patrick: Das heißt jetzt nicht, dass das alles harmonischer Grießschmarrn ist, in dem wir leben. Man kann sehr, sehr nett sein und sehr klare, harte Anweisungen geben. Aber es gibt zwei Arten. Entweder mache ich das, weil ich mich über den anderen erhebe oder weil ich es mit dem anderen gut meine, weil ich genau weiß, was für den richtig ist. Und der braucht vielleicht einfach gerade eine klare Anzeige. Ich bin jetzt kein Freund davon, dass das Unternehmen Streichelzoo ist. Aber es gibt eben eine Grundeinstellung. Ich glaube, dass wir uns als Menschen dieser Einstellung widmen sollten.
Anna: Es kommt immer auf die Haltung an, die dahinter ist. Wie ich mit jemandem kommuniziere, das ist wichtiger, als was ich genau sage.
Lieber Patrick, das war sehr spannend. Vielen Dank für diesen Einblick und auch für die offenen Worte. Es ist nicht selbstverständlich, dass man so offen und ehrlich über die nicht so tollen Zeiten und die unangenehmen Zeiten spricht. Ich glaube, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass wir das mehr tun, dass wir auch da eine Veränderung bewirken, wo wir einfach dieses Stigma, dass man nicht redet, dass man keine Schwäche zeigen darf, dass man alles alleine schaffen muss, wo wir das einfach ändern können und so viele Unternehmer:innen dabei helfen können, dass sie vielleicht nicht den harten Weg gehen müssen, den du oder ich gegangen sind. Vielen, vielen Dank, dass du da warst und ich freue mich jetzt dann auf ein Stück Kuchen.
Patrick: Sehr gerne.