Familienunternehmen, Scheitern und persönliche Grenzen: Wie ich meinen Weg fand
In dieser Folge von „Werr spricht“ nehme ich dich mit auf meine persönliche Reise, als ich ins Familienunternehmen einstieg – eine Geschichte voller Höhen, Tiefen und den wertvollsten Lektionen, die mich zu der Unternehmerin gemacht haben, die ich heute bin. Vom turbulenten Alltag in einer Werbeagentur bis hin zu einer Entscheidung, die mein Leben veränderte, erzähle ich von den Herausforderungen, Träumen und Scheitern, die meinen Weg geprägt haben.
Höre, wie ich inmitten von Krisen Verantwortung übernahm, welche Fehler ich gemacht habe und warum es manchmal entscheidend ist, loszulassen. Heute blicke ich zurück und teile, wie ich trotz allem meine eigene Agentur gegründet habe und wie mich diese Erfahrungen geformt haben. Diese Episode ist für alle, die sich in stürmischen Zeiten nach Klarheit und Inspiration sehnen.
Der Podcast in Worten – das Transkript für alle Leser:
Meine Reise im Familienunternehmen
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Werr spricht. Ich bin Anna Werr und heute wird es persönlich. Ich erzähle dir heute den Teil meiner Reise, als ich ins Familienunternehmen eingestiegen bin. Eine Geschichte voller großer Pläne, unerwarteter Wendungen und wertvoller Lektionen, die mich zu der Unternehmerin gemacht haben, die ich heute bin.
Die Vorgeschichte: Das Familienunternehmen
Wir bzw. meine Eltern hatten eine Werbeagentur, ein Fotostudio und eine Druckerei. Ich bin praktisch in der Firma aufgewachsen. Für mich war das ein Abenteuerspielplatz. Ich habe im Papierlager geturnt, war über und über voll mit Druckerpuder, mit den Mitarbeitenden geplaudert, in der Buchbinderei geholfen, mir von den Grafikern Dinge erklären lassen und saustolz im Fotostudio mit der Uhr vom Papa in der Hand 60 Sekunden lang das Polaroid geschüttelt, bis man was gesehen hat. Die Firma war immer Teil meines Lebens. Für mich stand fest, eines Tages werde ich die Firma übernehmen. Dieser Gedanke war so selbstverständlich, wie das Atmen.
Der Anfang
Kurz vor meinem Abitur begann die Krise. Es gab Probleme mit der Bank. Das war ungefähr zu der Zeit, als die Dot-Com Blase platzte. Die Bank hatte viel Geld verloren und angefangen Kredite abzubauen. Damals sind viele Unternehmen bei uns in der Umgebung pleite gegangen. Die Tatsache, dass der Bankdirektor die Bilanz nicht richtig lesen konnte und Mark und Euro verwechselt hat, hat jetzt auch nicht gerade geholfen. Die ganzen Einzelheiten, erspare ich euch jetzt. Das ist nämlich im Detail und in dem, was in den nächsten 4 Jahren passierte, Stopp für ein Wirtschaftskrimi. Vielleicht sollte ich mal einen True Crime Podcast machen. Jedenfalls hatten wir dann eine familieninterne Krisensitzung, wie es jetzt weitergehen sollte. Für mich war klar, meine Zukunft war in Gefahr. Sogar meine Existenz. Wenn es die Firma nicht mehr gibt, dann gibt es nichts mehr, was ich eines Tages übernehmen kann. Für mich gab es keine Alternative dazu. So sehr habe ich mich damit identifiziert. Und so reift in mir ein Plan.
Der Plan
Ich steige in die Firma ein, mache dort die Ausbildung zur Mediengestalterin, rette währenddessen das Unternehmen und die Ehe meiner Eltern gleich mit. Spoiler Alert – hat nicht funktioniert.
Die Umsetzung
Im Sommer nach meinem Abitur fing ich mit einem Praktikum an. Ich war schon in der Berufsschule angemeldet. Im September ging es mit der Ausbildung los. Am Abend vor meinem ersten Berufsschultag wandten wir heraus, dass die Mitarbeiter in der Agentur eine feindliche Übernahme geplant hatten, angezettelt von dem Unternehmensberater, den die Bank gefordert hatte. Meine Eltern konfrontierten den Programmierer und in seiner Verzweiflung griff der meine Mutter an, der dachte, dass sie belastende Dokumente in der Hand hatte. Noch heute erinnere ich mich an … „Anna, ruf die Polizei!“ Ich stand erst mal in Schockstarre da und habe gefühlt minutenlang nicht reagiert. Wahrscheinlich vergingen nur Sekunden, bis ich meiner Mutter zur Hilfe geeilt bin. Nach einer Nacht bei der Kripo fiel der erste Berufsschultag natürlich aus und stattdessen überreichten wir zwei Drittel der Agentur-Mitarbeiter der Kündigung. Was für ein Ausbildungsstart. Jetzt war ich auf einmal nicht mehr nur Grafikauszubildende, sondern auch noch Sekretärin, Buchhaltungsgehilfin und Grafikerin.
Ich wusste in den wenigsten Fällen, was zu tun war, nur dass es zu tun war. Also habe ich es getan. Verantwortung übernehmen, einspringen, wenn alle anderen aufgeben, versuchen, alles zusammenzuhalten, das konnte ich schon immer. So verging ein ganzes Jahr ohne Verschnaufpause. Nur in der Berufsschule war Zeit zum Schlafen. Ich empfehle im Übrigen keine Strickpullis, wenn man ein Nickerchen macht, dann hat man so ein komisches Zopfmuster teilweise auf der Stirn und ich habe die eine oder andere Mittagspause mit Mustern im Gesicht verbracht.
Irgendwann verließen meine Mutter ihre Kräfte und sie verließ die Firma. Das Ziel, die Ehe meiner Eltern zu retten, hatte ich nicht erreicht. Natürlich ging mich eigentlich die Ehe meiner Eltern nichts an. Und doch glaubte ich als Kind, dass ich etwas tun könnte, dass es etwas mit mir zu tun hatte, dass ich versagt habe, weil ich es nicht geschafft habe, alles zusammenzuhalten. Das Ende der Ehe hatte natürlich noch weitere Konsequenzen. Unser Zuhause, mein Rückzugsort, wurde verkauft.
In der Agentur war auf einmal nur noch ich über für die Agenturleitung. Eine neue Aufgabe, von der ich keine Ahnung hatte, wie ich sie erledigen sollte. Aber keine Ahnung zu haben, hat mich auch diesmal nicht davon abgehalten, weiterzumachen. Ich erinnere mich noch an eine Situation, als mein Telefon geklingelt hat und der Drucker fragte, wer denn jetzt zur Farbanpassung und Druckabnahme kommen würde. Ich hatte das zwar noch nie gemacht, aber außer mir war ja keiner da. Also ging ich runter. Das alles war für mich nur ein weiterer Rückschlag bei meiner Mission, die Firma zu retten. Ich wachte jeden Tag auf und betete, dass es einfach mal ein Tag wird, an dem nichts passiert. Keine Katastrophe, kein neues Problem, das es zu lösen gibt. Ich wurde selten erhört. Was ich in dieser Zeit jedoch gelernt habe: ich mache was ich kann und alles andere regelt sich dann schon irgendwie von selbst. Leider habe ich da noch nicht gelernt, dass ich nicht mehr machen soll, als ich kann.
Weil das alles noch nicht genug war, kam ich auf eine neue Idee. Ich fing nebenbei noch ein Fernstudium an, denn so eine Ausbildung zählt ja nichts. Alle meine Freunde studierten, mein schlauer großer Bruder hat studiert. Ich brauche auch einen Titel, sonst bin ich nichts wert. Also ein Studium, auf Englisch, neben 12-14 Stundentagen. Ein halbes Jahr später endete es – in keinem Titel. Ich habe noch nicht mal die erste Prüfung geschafft. Die Erkenntnis, dass ich auch nicht alles schaffen kann, hat mich zutiefst erschüttert. Irgendetwas ist in diesem Moment in mir zerbrochen. Das erste Mal in meinem Leben musste ich aufgeben. Ich habe es drei Tage lang nicht aus dem Haus geschafft. Ich saß einfach nur weinend am Sofa. Aber für Schwäche war nicht lange Zeit. Es gab noch eine Firma zu retten. Mittlerweile wurde es immer schlimmer.
Die Druckmaschine hatte einen lebensgefährlichen Systemfehler, die Druckwalzen haben sich mal von selber angeschaltet und anstelle ihn zu beheben, hat die Firma einfach die Druckmaschine abgebaut. Nachdem das Letzte, was uns eingefallen ist, die Firma dazu zu bringen, den Fehler zu beheben, die Leasingraten nicht mehr zu bezahlen. Bis der Fehler behoben wurde. Oder dann eben nicht. Die Bank hat einfach mal 250.000 Euro aus der GmbH abgebucht und so den Kontokorrentrahmen voll ausgeschöpft, um mein langfristiges Darlehen zu tilgen. Unversteuert, ohne Einverständnis des Geschäftsführers. Und die Förderung vom Land gleich noch mit, die dafür gar nicht verwendet werden durfte. Das Land meinte dazu übrigens nur: „Mei, mit der Bank arbeiten wir so viel zusammen, das wollen wir uns jetzt nicht verscherzen.“ Ach ja, eins muss ich übrigens nebenbei noch erwähnen, wir haben zu jeder Zeit schwarze Zahlen geschrieben.
Irgendwann kam mein Bruder mit dazu und hat versucht zu retten, was zu retten ist. Die Bank saß einfach am längeren Hebel. Wenn es nicht mehr läuft, dann ist es vorbei, mit Gesetzen, mit Respekt und mit Menschlichkeit. Wir kämpften, wir haben alles gegeben und noch mehr. Für innehalten, für links und rechts schauen war keine Zeit. Bei so einem Familienunternehmen hängen alle mit drin. Irgendwann sind alle am Ende und keiner kann dem anderen mehr Halt geben. Meine Freunde waren in einer ganz anderen Welt. Die konnten meine Probleme gar nicht nachvollziehen.
Die Stoppsignale meines Körpers habe ich nicht wahrgenommen. Ich war im Krieg. Heute weiß ich nicht mehr so genau gegen wen eigentlich. Damals gefühlt gegen alle. Und gegen mich, gegen meine Schwäche. Mein Körper hat nach und nach aufgegeben, ich konnte so gut wie nichts mehr essen. Ich bekam keine Luft mehr und schwerstes Asthma. Aber wer muss schon atmen? Bis es irgendwann so weit war und wir mit dem Büro in den Keller ziehen mussten. Ende Dezember 2006 stand ich vor einer der schwersten Entscheidungen meines Lebens. Bleiben und alles übernehmen oder gehen und meinen Traum verlieren. Am Ende war es eine Entscheidung für mich und ich ging. Gefühlt hatte ich versagt und bin an meiner eigenen Idee gescheitert.
Danach
Seitdem ist viel Zeit vergangen. Es ist jetzt fast 20 Jahre her. Ich habe mich auf die Reise zu mir selbst begeben. Wenn mich die Psyche krank machen kann, dann muss sie mich auch gesund machen können. Sie hat mich dann nach Hamburg verschlagen. Ich wollte mindestens eine Flugstunde von zu Hause entfernt sein. Und ich wollte herausfinden, wer ich wirklich bin, wenn ich keine Rolle habe. Keine Schwester, keine Tochter, Freundin etc. bin. Nach einigen Angestelltenjahren, einem Abendstudium und einer Weltreise habe ich eingesehen, dass ich die weltschlechteste Angestellte bin. Ich habe erkannt, dass sich zwar die äußeren Umstände geändert haben, aber ich mich nicht. Also habe ich meine eigene Agentur gegründet. Bei einer Fuck-up-Night habe ich über meinen Scheitern nachgedacht.
Ich bin nicht wirtschaftlich gescheitert. Ich bin an mir gescheitert. Ich habe erkannt, Scheitern findet nicht im Außen statt, sondern im Innern. Und manchmal auch nur ganz leise. Normalerweise erzähle ich diese Geschichte nicht. Und wenn, dann nur mit viel Ironie.
Die Stimme, die sagt, dass ich gescheitert bin, dass ich versagt habe, die erwähnte ich nie. Dass ich fast vier Jahre lang von einer Katastrophe in die nächste gerutscht bin. Wie im Wahn gehandelt habe. Dass ich nicht mal wahrgenommen habe, was passiert. Das erwähne ich auch nicht. Mir hat es damals komplett den Boden unter den Füßen weggezogen. Am Schluss war alles, was es einmal gab, einfach weg. Mittlerweile weiß ich, ich bin nicht an der Vision gescheitert, meine eigene Agentur zu haben und etwas in die Welt zu bringen, sondern an meiner Idee, wie der Weg dorthin aussieht. Jetzt habe ich erkannt, dass ich genau da bin, wo ich immer sein wollte. Ich habe einfach nur nicht den leichtesten Weg genommen. Jetzt, mittlerweile habe ich meine eigene Agentur. Sogar mit Mitarbeiterinnen.
Nach viel Arbeit auf den verschiedensten Ebenen, kann ich nun tatsächlich auch das Gute an der Situation sehen. Ich wurde mal gefragt, welchen Rat ich meinem jüngeren Ich geben würde. Ganz ehrlich, ich hätte wohl keinen Rat angenommen. Ich hätte ihn wahrscheinlich noch nicht einmal gehört. Was ich aus dieser Zeit gelernt habe, ich mache so viel wie ich kann, alles andere regelt sich von selbst. Ich baue regelmäßige Kontrollstopps ein, um durchzuatmen, um den Kurs zu überprüfen und eventuell anzupassen. Und Scheitern findet nur im Innen statt, nicht im Außen. Auch wenn die Situation damals wirklich beschissen war, das muss man jetzt einfach mal so sagen, und ich wünsche niemandem das durchmachen zu müssen, so hat es mich doch zu der Person gemacht, die ich jetzt bin. Und nicht nur das. Ohne diese Erfahrung könnte ich das, was ich jetzt mache, nicht machen. Und so kann ich vielleicht dem einen oder der anderen einige Erfahrungen ersparen, würde es mir zumindest wünschen. Es steht vor meinem Namen noch immer kein Titel, hinter dem ich mich verstecken kann. Aber auch kein Titel, der irgendwas für sich beansprucht, von dem, was ich bin, was ich kann, was ich gelernt habe und was ich zu geben habe. Es gibt einfach nur mich. Und das ist genug.